Gesunde Lebenswelten, nachbarschaftliche Gesundheitsförderung
„Gesunde Nachbarschaft“ ist eine Initiative des Fonds Gesundes Österreich (FGÖ), welche viele Projekte zum Thema Nachbarschaft unterstützt. Eine wesentliche Rolle spielen dabei sogenannte „Sorgende Gemeinden“, von der Fachwelt „Caring Communities“ („Fürsorgliche Gemeinschaften“) genannt. Gut gemeint, aber schlecht formuliert – wir sollten uns nicht immer „Sorgen“ machen und noch weniger Initiativen so benennen. „Förderung“ klingt besser und trifft die Sache deutlicher.
Die WHO formuliert dies „förderlicher“: Mit der Ottawa-Charta von 1986 verortet sie Gesundheitsförderung im sozialen Kontext ….. Gesundheit entsteht dadurch, dass man …. eine Lebenswelt vorfindet, die man (gesundheitsförderlich) mitgestalten kann. https://gesunde-nachbarschaft.at/hintergrund
In „Place Matters“ („Der Ort ist wichtig“) beschäftigt sich die Initiative „Gesunde Nachbarschaft“ mit raumbezogenen Faktoren. Dieser Ansatz ist sehr gut, bezieht sich aber nur auf Senior.innen. Die Initiative sollte auf alle Altersgruppen erweitert werden. Gerade bei der Corona-Jugend nehme ich sehr viele soziale Probleme wahr, die in guter Nachbarschaft gebessert werden könnten.
Was können nun raumbezogene Faktoren sein? Ich höre von Sozialräumen und Begegnungsorten, infrastruktureller Raumausstattung, usw. Und sehe aber, dass viele Projekte nicht wie gewollt greifen. Einer der Gründe könnte sein, weil grundlegende Vorleistungen nicht berücksichtigt werden. Einige wesentliche Vorleistungen möchte ich vorstellen:
Vorleistung 1 – Die Landschaft
Jeder Ort hat eine bestimmte landschaftliche Infrastruktur. Die Lage an einem Hügel/Berg, an einem Fluss oder zwischen diesen beiden. Beide sind Zubringer von Lebensenergie. Viele Siedlungen sind aber nicht so angelegt bzw. ausgerichtet. In solch einem Fall braucht es eine spezielle Anbindung an die umgebende Landschaft, damit der Lebensenergiefluss die Siedlung bzw. Nachbarschaft erreicht.
Vorleistung 2 – Der Eingang
Jede Nachbarschaft, jede Siedlung hat zumindest einen Eingang bzw. eine Einfahrt. Von dort kommt weitere Lebensenergie in die Siedlung. Wenn die Siedlungseinfahrt aber nicht gut angelegt ist, kann es zu einem Vorbeifließen der Lebensenergie kommen. Sie findet den Eingang nicht. Energie folgt der Aufmerksamkeit. Achten Sie mal darauf, wenn Sie in fremde Siedlungen kommen.
Vorleistung 3 – Die Mitte
Eine Nachbarschaft, eine Siedlung ist ein Organismus. Mehr oder weniger lebendig. Jeder Organismus hat lebenswichtige Organe. Eines ist das Herz, die Mitte. In den Dörfern sehen wir Ortsplätze als selbstverständlich an. In Siedlungen finden wir keine Mitte. Warum dieser Unterschied? Es braucht eine Mitte, damit sich so etwas wie Ortsidentität entwickeln kann (Anm.: dafür gibt es noch weitere Gründe).
Vorleistung 4 – Die Grenze
Damit sich ein Organismus erkennen kann, braucht es die Grenze. Führer die Stadtmauer oder der Haag, heute ein Buffer zwischen gebauter und natürlicher Umwelt. Eine Einhegung, also doch ein Haag, der emotionalen Schutz bietet. Und es braucht die Grenze, damit die Mitte funktionieren kann.
Vorleistung 5 – Die Nahversorgung
In den Dörfern wurden die Nahversorger selten. Aber einige gibt es noch. In Siedlungen hat es diese nie gegeben. Ich bin keinesfalls für die Dezentralisierung von Ortsplätzen. Aber einige „Nahversorger“ passen auch in die Siedlung, wie z.B. Bauernladen oder -automaten, Milch- und Brotkastln, Bushaltestellen, Zigarettenautomaten (eher nicht mehr). Wichtig dabei ist, dass diese infrastrukturellen Einrichtungen auf einem zentralen Platz, der Mitte, gemeinsam positioniert sind.
Vorleistung 6 – Die gemeinsame Infrastruktur
Der altersgerechte Rastplatz für den Spaziergang der Senioren braucht Bänke – und zwar direkt beim Spielplatz. So wie im Ort der Kindergarten und das Seniorenheim in nachbarschaftlicher Lage sein sollen, so sollen in der Siedlung Kinder und Senioren eine selbstverständliche Möglichkeit der Begegnung haben.
Vorleistung 7 – Die Allmende
Die Allmende ist ein alter, fast ausgestorbener Rechtstitel. Es handelt sich dabei um Land, Wald oder Gewässer, das als gemeinschaftliches Eigentum von der gesamten Bevölkerung benutzt werden darf. Dies könnte heute der Gemeinschaftsgarten, der Siedlungsteich oder ähnliche gemeinschaftliche Einrichtungen sein. Wichtig ist, dass es sich hierbei nicht nur um ein Recht, sondern auch eine Pflicht handelt.
Vorleistung 8 – Die Öffnung
Viele Häuser sind wie Befestigungsanlagen zugangs- und einsichtsgeschützt. Gabionen, flächige Sichtschutzzäune aus Alu oder Edelstahl, hohe blickdichte Thuja, Kirschlorbeer oder Stechpalmen. Zumindest der straßenseitige Vorplatz und Eingang sollte ortsbildgerecht und offen gestaltet sein. Mauern tragen nicht zur Begegnung bei.
Vorleistung 9 – Die Zeit
Es genügt nicht, einmal im Jahr ein Nachbar-, Straßen-, Siedlungs- oder Dorffest zu feiern. Es braucht mehr gemeinsame Zeit. Für die gemeinschaftlichen Aufgaben, für gemeinsame Übergangsrituale, für gemeinsam gefeierte Jahreskreisfeste. Diese gemeinsamen Zeiten sind nicht nur gemeinschaftsfördernd, der Vorbildcharakter für unsere Kinder ist unermesslich.
Zum Schluss ….
Die traditionelle Form der Nachbarschaft ist das Miteinander in einem Dorf. Eine neuere Form ist das Nebeneinander in einer Siedlung. Auch wenn es mittlerweile im Dorf auch schon mehr Neben- als Miteinander gibt, so ist dies in einer Siedlung inhärent. Ökodörfer können uns andere Sichtweisen bieten. Ich freue mich, wenn die Hinweise in diesem Blog zu einem Umdenken beitragen kann.
Links
https://gesunde-nachbarschaft.at/
https://www.gesundheit.gv.at/leben/lebenswelt/soziale-netzwerke/gesunde-nachbarschaft.html
https://www.gesundheit.gv.at/leben/lebenswelt/soziale-netzwerke/sorgende-gemeinde.html
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Mag. Wolfgang Strasser
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